Billie Holiday: zwei neue Filme mehren Fakten und Legenden (2024)

Der Starkult wird ebenso durch Triumphe befeuert wie durch tragische Wendungen. Das gilt exemplarisch für die Karriere der Jazzsängerin Billie Holiday. Zwei neue Filme versuchen sich an der Wahrheit ihres Lebens.

Ueli Bernays

Drucken

Stars schillern in der Ferne, am Firmament von Glamour und Prominenz. Ihren Fans aber scheinen sie so nahe und vertraut wie Freunde. In dieser Spannung gedeiht der Kult, der die Fakten mit Phantasie ausschmückt.

Das gilt auch für Eleanora fa*gan alias Billie Holiday. Seit ihre traurigen Lieder das Publikum bezaubern, ranken sich Gerüchte und Legenden um ihr Leben. Selbst in einschlägigen Dokumenten verstellen sie den Blick auf ihre schwierige Existenz. Die Autobiografie «Lady Sings the Blues» zum Beispiel, 1956 erschienen, ist voller Halbwahrheiten und Weglassungen. Und der Film unter gleichem Titel von 1972, mit Diana Ross in der Hauptrolle, begnügt sich mit Klischees.

Leben im Gesang

Nun sind zwei weitere Filme erschienen, die das Leben der Jazzsängerin ausleuchten wollen: Lee Daniels’ Bio-Pic «The United States vs. Billie Holiday» und «Billie», ein dokumentarisches Zeugnis des Briten James Erskine. Aber wie wichtig ist überhaupt die Sprache der Fakten, wenn die eigentliche Wahrheit aus gesanglicher Fiktion spricht?

Ist von Billie Holidays Stimme die Rede, geht es selten um Virtuosität. Man spricht von der Ehrlichkeit ihres Ausdrucks. Die Sängerin fesselt einen mit Melancholie und fiebriger Phrasierung. Zu brav und zu gesetzt für die Amplituden ihres abenteuerlichen Lebens, berauschen wir uns immerhin an unserer Anteilnahme. Und wir wollen wissen, wer sie war und wie sie lebte, Billie Holiday.

«She sang the truth. She paid the prize», lautet der Untertitel von «Billie», James Erskines Dokumentarfilm. Der britische Filmregisseur hat auf Interviews zurückgreifen können, welche die amerikanische Journalistin Linda Lipnack Kuehl in den 1970er Jahren mit Musikern und weiteren Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Jazzsängerin führte. Kuehl wollte eine Biografie von Billie Holiday schreiben, bevor sie sich 1978 im Alter von 38 Jahren das Leben nahm.

Erskine hat Kuehls Interview-Tonbänder mit Konzertmitschnitten zu einem eindrücklichen Filmporträt zusammengefügt. Dabei wird klar, wie sich die Persönlichkeit dieser Sängerin an Kanten mannigfaltiger Diskriminierung schärfte. Seit der Kindheit ist Billie Holiday konfrontiert mit Armut, Sexismus, Rassismus. Zwar trägt sie der Erfolg auf den Olymp der amerikanischen Musikszene, sie triumphiert in Sälen wie der New Yorker Carnegie Hall. Aber die Erinnerungen an Not und Erniedrigung lassen sie nie los.

Sex und Entertainment

Sie hat von Kindsbeinen an gesungen – in der Kirche, in der Schule. 1915 in Philadelphia geboren, wächst Billie Holiday bei Verwandten in Baltimore auf. Mit elf Jahren wird sie von einem Nachbarn vergewaltigt. Zu ihrem Schutz steckt man sie in eine katholische Erziehungsanstalt. Später hilft sie ihrer Mutter, die in einem Bordell arbeitet.

Auch Billie Holiday hat sich zeitweise prostituiert. Im Film legen Aussagen mit verstohlenem Grinsen die Vermutung nahe, dass diese Arbeit als ziemlich normal gilt. Die Etablissem*nts sind Teil des Entertainments, in dem sich verschiedene Bereiche überlagern: Käuflicher Sex und Jazz können gegenseitig voneinander profitieren.

In den 1930er Jahren fahren weisse Männer nach Harlem, um sich mit schwarzen Frauen zu vergnügen. John Hammond folgt ihnen uptown, aber ihm geht es nicht um fleischliche Lust, sondern um Gesangskunst. Dem Musikproduzenten ist nämlich zu Ohren gekommen, dass in Harlems Rotlichtmilieu eine junge Sängerin von sich reden macht: Billie Holiday, die 17-jährig nach New York gezogen ist. Begeistert von ihrem Talent, lanciert er nun ihre Karriere.

Allgegenwart des Rassismus

Die Vielzahl interviewter Musiker (u.a. Artie Shaw, Count Basie, Charles Mingus, Tony Bennett) zeigt, dass die Sängerin stets von Männern umgeben ist. In maskuliner Entourage kann sie sich behaupten, indem sie sich eine dicke Haut zulegt. Mit wechselnden Bands tourt sie durch den Norden der USA, mitunter aber auch durch den Süden, wo Rassismus oft in brutale Aggression umzuschlagen droht.

Rassismus ist allgegenwärtig in Billie Holidays Karriere. In der Band des Pianisten Count Basie muss sie sich dunkel schminken, um genügend schwarz zu wirken – eine hellhäutige Sängerin unter schwarzen Musikern hätte das weisse Publikum empört. Das Engagement bei Count Basie läuft aus musikalischen Gründen aus: Holiday will offenbar nicht ins Klischee einer Bluessängerin gedrängt werden. Später singt sie für den weissen Klarinettisten Artie Shaw. Doch wie seine Band von einem New Yorker Luxushotel gebucht wird, das keine Schwarzen toleriert, muss die Afroamerikanerin über die Klinge springen.

Billie Holiday singt vor allem Jazzstandards, sie führt nur wenige Originale im Repertoire. 1939 stellt sie im New Yorker Café Society, wo sich die weisse mit der schwarzen Bohème mischt, erstmals den Song «Strange Fruit» vor. Geschrieben hat ihn der jüdische Kommunist und Lehrer Abel Meeropol. Das Lied, das in drastischer Poesie die Lynchmorde an Schwarzen anprangert, markiert bald den Höhepunkt ihrer Karriere. In ihrer Autobiografie aber wird Billie Holiday den Namen und die Bedeutung von Meeropol unterschlagen.

«Strange Fruit» bildet auch den dramatischen Fluchtpunkt in Lee Daniels «The United States vs. Billie Holiday». Der Spielfilm, der mit einem fiktiven Interview einsetzt, gibt sich zwar dokumentarisch. Der narrative Weg mag auch mit ein paar harten Tatsachen gepflastert sein, er führt jedoch direkt in einen Nebel aus Kitsch und Mythos.

Aufgeschreckt durch das provokative Protestlied «Strange Fruit», nimmt die Polizei die Künstlerin ins Visier. Man versucht zunächst, Billie Holiday – von Andra Day überzeugend gespielt und gesanglich trefflich imitiert – den subversiven Song auszureden. Dann macht man Druck auf ihren Mann und Manager Jimmy Monroe. Obwohl zu künstlerischen Konzessionen selbst durchaus bereit, kann er keinen Einfluss nehmen auf das Repertoire.

Bei Monroe handelt es sich um eine authentische Figur – und um einen jener brutalen Zuhältertypen, denen Holiday in ihrem Leben in geradezu masoch*stischer Weise immer wieder verfallen ist. «I’d rather my man would hit me, than jump right up and quit me» – mir ist lieber, mein Mann schlägt mich, als dass er mich verlässt, heisst es dazu passend in «Ain’t Nobody’s Business If I Do» – ein Lied, das Bessie Smith schon gesungen und das Billie Holiday sich später angeeignet hat; Andra Day interpretiert es stilgerecht.

Wenn in «The United States vs. Billie Holiday» gezeigt wird, wie sich die trotzige Frau mit ihrem Lover prügelt, ist das kaum übertrieben. Mehr noch als toxische Männlichkeit wird ihr allerdings die Anfälligkeit auf Rauschmittel zum Verhängnis. Und die Drogen bieten den polizeilichen Häschern einen Vorwand für ihre Inhaftierung. In diesem Zusammenhang ergänzt Lee Daniels die Biografie um eine fiktive Episode: Ein Fan – der attraktive Afroamerikaner James Fletcher – lässt sich als Agent von der Drogenpolizei einspannen. Er ist es, der Billie Holiday verrät. Und sich trotzdem in sie verliebt.

Das bittere Ende

Das Schicksal von «The United States vs. Billie Holiday» ist nun durch die ebenso schwerfällige wie unglaubwürdige Romanze zwischen Holiday und Fletcher besiegelt. Weil die Polizei die Sängerin weiterhin drangsaliert, muss Fletcher ihr überallhin folgen. Dabei erliegt er nicht nur immer mehr ihrem Charme, sondern auch jenen Giften, die ihre Gesundheit zugrunde richten.

Die Figuren bleiben blass in «The United States vs. Billie Holiday». Das Bio-Pic bezieht seine Dramatik zwar aus der Tragödie eines wechselhaften Lebens. Statt auf psychologische Tiefenschärfe zu fokussieren, verliert sich der Film jedoch in äusseren Reizen: putzige Interieurs, kostbare Stoffe, pastös geschminkte Visagen. Billie Holiday erscheint stets als glamouröse Diva, bevor sie sich am Schluss ziemlich unvermittelt in eine todgeweihte Süchtige verwandelt.

1959 ist Billie Holiday im Alter von 54 Jahren gestorben. Das Ende kam nicht plötzlich, früh schon war sie gezeichnet vom unsteten Leben und von den Drogen, auf die sie nicht verzichten mochte. Ihre Stimme wurde immer brüchiger, der Gesang schwächelte. Auf dem Gipfel des Erfolgs sah die Süchtige hinab in den Abgrund ihrer Existenz.

«Billie Holiday vs. The United States», ab 29.4. im Kino

Passend zum Artikel

«Guten Morgen, liebe Sorgen» – die Krise schafft die besten Songs Singen über Liebeskummer ist Kunst und Therapie. Das beweisen drei herausragende Singer-Songwriterinnen mit neuen Alben.

Ueli Bernays

Soul spricht über die Gegenwart. Soul sagt die Wahrheit. Das beweisen jetzt Jazmine Sullivan und Celeste Zahlreiche junge Sängerinnen lassen sich heute von der afroamerikanischen Gesangstradition inspirieren. Es geht ihnen nicht um stilistischen Purismus, sondern um die Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen.

Ueli Bernays

Billie Holiday: zwei neue Filme mehren Fakten und Legenden (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Nathanial Hackett

Last Updated:

Views: 6129

Rating: 4.1 / 5 (52 voted)

Reviews: 83% of readers found this page helpful

Author information

Name: Nathanial Hackett

Birthday: 1997-10-09

Address: Apt. 935 264 Abshire Canyon, South Nerissachester, NM 01800

Phone: +9752624861224

Job: Forward Technology Assistant

Hobby: Listening to music, Shopping, Vacation, Baton twirling, Flower arranging, Blacksmithing, Do it yourself

Introduction: My name is Nathanial Hackett, I am a lovely, curious, smiling, lively, thoughtful, courageous, lively person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.